1991, Güglingen
Ausstellung „Ursula Laquay-IHM. Kunst im Rathaus. 10 Jahre Bürgerstiftung. Kunst für Güglingen“
im Rathaus Güglingen vom 10.11.1991-8.1.1992.
Hans Belting: Die Wege der Schwalben
(aus dem Ausstellungsprospekt)
Eine Malerei, die Natur und Technik gemeinsam ins Bild setzen will, findet dafür Möglichkeiten und ebenso Probleme vor, die von weither kommen. Die Inhalte, die wir den beiden Begriffen geben, haben sich oft gewandelt, besonders seit der Zeit, als die Moderne noch jung war. Aber für die Künstler sind Natur und Technik nicht nur Inhalte, sondern auch Aufgaben ihrer eigenen Werkform. Schließlich muß man Technik nicht abbilden, wie man Natur abbildet, sondern kann sie auch machen. Die alten Griechen hatten nur einen einzigen Begriff, nämlich TECHNE, um beides zu bezeichnen: Kunst ihrer Technik wegen und Technik ihrer Gestalt wegen. Beides war das „Werk“ des Menschen, der vom „Wissen“ um die Gesetze der Natur geleitet ist. Die Renaissance erfand streng gegliederte Gärten, um die Natur zu beherrschen und in eine „künstliche Natur“ zu verwandeln. Sie plante auch Idealstädte, um die Menschen durch die Gestalt ihrer Umgebung dazu zu erziehen, daß sie das Zusammenleben nach Idealen gestalteten. Das „Bauhaus“ hat letztlich noch aus diesem Programm gelebt.
Die Renaissance prägte aber auch den Begriff der „Utopia“, den es, so griechisch er auch klingt, im Griechischen noch gar nicht gibt. Man sah damals ein, daß das Ideal „keinen Ort“ (so der Begriff) besaß, es sei denn in der Kunst. Die Unterscheidung von Kunst und Technik wurde im Zeitalter der Aufklärung endgültig, und künftig standen zwei Begriffe mit gegensätzlichem Inhalt nebeneinander. Seit der Romantik übernahm die Kunst am liebsten die Rolle, die Natur zu verklären und die technische Welt zu verleugnen. Die Synthese, welche die Moderne noch einmal erhoffte, war ein kurzlebiger Versuch. Die Kunst war seither vor die Wahl gestellt, sich positiv oder negativ zur technischen Welt zu verhalten. Auch diese Rolle steht inzwischen infrage, wenn sich Kunst nur noch in den Bahnen heutiger Medien bewegt, womit sie selber zu einer Spielart der Technik wird.
Die Malerin Ursula Laquay-IHM, die übrigens bei einem Zögling des Bauhauses, Herbert Hirche, einmal Architektur und Möbeldesign studiert hat, schlägt seit langem einen sehr persönlichen Weg zu diesem großen Thema ein. Sie versteht Formen als Funktionen ganz im Sinne der strengen Devise, daß „die Form der Funktion folgt“ , wie es in der Ära Le Corbusiers hieß. Deshalb erfindet sie auch keine Motive, sondern sucht sie im Lebensraum des Menschen überall dort, wo Gestaltung eine Funktion hat oder haben sollte.
Funktion, so scheint es, ist auch der Sinn im Bauprinzip der Natur, die immer als Lehrmeisterin angerufen wird, wenn sich der Mensch als Erfinder rechtfertigen will. Die Lebensformen im weitesten Sinne sind der Malerin so wichtig, daß sie sie im gleichsam naiven Zugriff, als könnte man sie selber ergreifen, in ihre Bilder holt und sie dort festhält, auch wenn sie in dieser Übersetzung manchmal dekorativ wirken mögen. Wo die Mittel der Malerei nicht ausreichen, übernehmen Materialien aus Natur und Technik selber die Führung.
Wenn man so verfährt, kann man nicht zulassen, daß die Bildvermittlung heutiger Medien, die seit der Pop Art an die Stelle der alten Naturerfahrung getreten ist, unseren Blick auf die Dinge, so wie sie sind, verstellt. Aber man muß auch vermeiden, den Anspruch auf Kunst um ihrer selbst willen zu erheben. Deshalb fehlen Motive aus der Kunstgeschichte ebenso spektakulär wie reine Formen ohne eine zusätzliche Zeichenfunktion. Dennoch leben Bilder gewöhnlich mehr von ihrem künstlerischen Angebot als von dem, was sie uns inhaltlich mitteilen. Es ist offensichtlich, daß die Malerin fasziniert ist von Bauelementen der Natur (dem Makrokosmos einer Landschaft wie dem Mikrokosmos eines Pflanzenblatts), aber ebenso stark von Bauelementen der Technik. Folglich besteht ihre Bildsprache aus einem Vokabular doppelter Herkunft, in dem sich aber die Formen der technischen Welt schließlich als stilprägend durchsetzen. Die hellen Farben halten die Motive im Bild fest. Das Bild ist der Ort, an dem wir sie ablesen sollen, wie wir auf einer Tafel Schriftzeichen entziffern. In liebevoller Sorgfalt werden alle Motive so sachlich umschrieben, als sollte unser Auge begreifen, welche Ähnlichkeiten zwischen Natur und Technik bestehen.
Die Welt der Technik hat ihre eigene Ästhetik, die noch verführerischer wirkt, wenn sie so emphatisch mit der Naturerscheinung versöhnt wird. Wir haben allerdings die Unschuld im Umgang damit verloren. Wie kann man aber die Ambivalenz sichtbar machen, die in dieser Schönheit liegt? Der Malerin ist das Problem bewußt, aber sie kann es mit rein künstlerischen Mitteln schwer lösen, wenn sie nicht die Harmonie, die sie so liebt, wieder zerstören und damit die gemalte Vision beschädigen will. Deshalb überläßt sie es manchmal den Bildtiteln, auf die Gefahren und auf die Gefährdung dessen hinzuweisen, was so schön aussieht.
Seit einiger Zeit spielen Planzeichnungen von Städten oder von alten Gärten, aber auch von heutigen Industrieanlagen einen gewisse Rolle im Werk der Künstlerin. Hier benutzt sie eine bewährte historische Form, um Welt zu vermitteln. Solche Grundrisse waren schließlich nicht nur als Baupläne, sondern auch als Idealansichten gemeint. Ihr Muster fängt seit jeher die gebaute Welt in der gleichen Flächenansicht ein, auf die auch das gemalte Bild angewiesen ist. Was die Wirklichkeit nicht einlösen und auch nicht von sich selber vorzeigen konnte, wurde stellvertretend dem Bauplan übertragen, an dem man das Ideal ablas. In Italo Calvinos wunderbarem Buch „Die unsichtbaren Städte“ heißt es, daß jeder in der Stadt Eudossia auf einem Teppich „die wahre Gestalt der Stadt betrachten und in den Arabesken die versteckte Antwort“ auf seine Fragen finden konnte.
Städte, so lesen wir da, sind „wie Träume aus Wünschen und aus Ängsten gebaut“. Werden wir je in den Städten, von denen wir träumen, ankommen oder sind wir je in ihnen gewesen? Sie sind in der Phantasie der Künstler „leicht wie Papierdrachen, durchbrochen wie Spitzen, oder ganz Blattäderung, ganz Linien einer Hand, ganz Filigran, durch dessen fiktive Dichte man hindurch sehen kann“. Könnte man auf dem Stadtplan, wie Calvino sagt, die Wege der Schwalben eintragen, die in der Stadt wohnen, so würde man endlich verstehen, wie sie wirklich gebaut ist.
Aber in der Stadt leben auch die Menschen, die ihre eigene Umwelt mit der gleichen Technik zerstören, mit der sie sie aufgebaut haben. Die Malerin lebt zu bewußt in ihrer Zeit, um diese Gefahr nicht zu kennen. Deshalb stellt sie den gemalten Bildern, mit ihrer geschlossenen Ästhetik, die offene Bildform von Materialbildern und Objektkästen gegenüber, in denen Schläuche von außen in das gemalte Ideal eingreifen, um es zu ernähren. Hier ist das Thema nicht mehr die künstliche Natur, sondern die künstlich ernährte Natur. Der Eingriff in das gemalte Bild ist eine symbolische Geste. Sie fordert den Eingriff in eine Natur, die ohne unsere Hilfe nicht überleben kann. Auch die in Hüllen eingepackten Puppen, die an Schläuchen hängen, drücken die gleiche Idee aus. Sie verkörpern einen Menschen, dessen Natur gefährdet ist, und sind deshalb das glatte Gegenteil des künstlichen Menschen, wie ihn der Roboter vertrat.
Hier werden Themen angesprochen, die jeder versteht. Hier stellen sich aber auch Fragen nach dem Sinn heutiger Kunst. Die Materialbilder, in denen sich ein therapeutischer Instinkt durchsetzt, suchen zwar ihrerseits wieder nach einer ästhetischen Vermittlung. Doch arbeiten sie mit Prothesen, um eine Vision am Leben zu halten, die in der gemalten Gestalt schöner war. Die sogenannte „Objektkunst“ war in den 60er Jahren der Ausbruch aus den zu eng gewordenen Grenzen des Gemäldes. Sie hat für die Malerin Laquay-IHM eine andere Funktion, in der die Botschaft überwiegt. Die Künstlerin erweitert damit ihr gemaltes Vokabular, stellt es aber gerade in der leisen Art, die wir hier antreffen, in selbstkritischer Weise wieder infrage.