Begrüßungsrede von Dr. Ingrid-Sibylle Hoffmann zur Vernissage der Ausstellung in der Galerie im Kameralamt 2013
Liebe Frau Hoffinann, liebe Frau Laquay-IHM,
liebe Kunstfreunde,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass ich Sie heute Abend hier in der Galerie im Kameralamt begrüßen darf – ein wunderbarer Raum, den wir mit dieser Ausstellung grafischer Arbeiten von Sabine Hoffmann und Ursula Laquay-IHM nach langer Pause wieder einmal bespielen dürfen. Besonders freue ich mich, dass wir Werke von zwei Künstlerinnen zeigen können, die u. a. als Bildhauerinnen, Installations- oder Objektkünstlerinnen arbeiten, aber gerade auch ein jeweils sehr eigenständiges, äußerst interessantes grafisches Oeuvre geschaffen haben. Wir können so mit dieser Ausstellung das in der Galerie Stihl Waiblingen verfolgte Anliegen vertiefen, die grafischen Künste in den Fokus zu rücken.
Mit dieser Präsentation in der Galerie im Kameralamt würdigt die Stadt Waiblingen die großzügige Geste der beiden Künstlerinnen, uns wichtige Werkgruppen aus ihrem grafischen Schaffen als Dauerleihgaben zur Verfügung zu stellen. Die visuell und inhaltlich äußerst vielschichtigen Arbeiten, die bereits seit 2004 in Waiblingen bewahrt werden, sind eine großartige Bereicherung für unsere städtische Kunstsammlung. Mein großer Dank gilt ihnen, liebe Frau Hoffinann, liebe Frau Laquay-IHM – Sie haben diese Ausstellung durch Ihre in mehrfacher Hinsicht intensive künstlerische Arbeit und vor allem durch Ihre Bereitschaft, wichtige Werke als Dauerleihgaben in die Sammlung der Stadt Waiblingen zu geben, ermöglicht. Dass durch diese Ausstellung nun auch die Öffentlichkeit an der anregenden Begegnung mit diesen Arbeiten teilhaben kann, darüber freue ich mich außerordentlich. Die Besucher erhalten damit ausnahmsweise einmal einen Blick in unsere städtische Sammlung, die – wie an dieser kleinen Auswahl deutlich wird – wirkliche „Schätze“ birgt.
Ich möchte Ihnen nun die Künstlerinnen kurz vorstellen und ein paar einleitende Gedanken zur Ausstellung vorbringen. Die eigentliche Einführung übernimmt im Anschluss meine Kollegin Nina Pfeiffer, die die Ausstellung kuratiert hat.
Sabine Hoffmann wurde 1926 in Danzig geboren und erlebte dort eine für ihre Lebenseinstellung und ihr gesellschaftlich engagiertes Schaffen prägende Kindheit und Jugend in einem kunstaffinen, antifaschistischen Elternhaus. Nach dem Krieg studierte sie Freie Grafik an den renommierten „Kölner Werkschulen“. Einen zweijähriger Parisaufenthalt – damals DIE Kunstmetropole – in den frühen 50er Jahren empfand die junge Künstlerin als menschlich und künstlerisch äußerst bereichernd. Nach der Rückkehr trat die Kunst zunächst hinter anderen beruflichen Tätigkeiten zurück, 1962 fand Sabine Hoffmann dann zu einem künstlerischen Neubeginn und arbeitete fortan als freie Künstlerin. 1969 bis 1985 lehrte Sabine Hoffmann als Dozentin an der Merz-Akademie Stuttgart. Ihr Schaffen umfasst vornehmlich Wand- und Rauminstallationen sowie Arbeiten im öffentlichen Raum, daneben grafische Arbeiten in unterschiedlichsten Techniken. Es wurde nicht nur in zahlreichen Ausstellungen – u. a. 1974 und 1992 in Waiblingen – präsentiert, die Künstlerin trat darüber hinaus auch mit Aktionen im Stadtraum und in der Landschaft sowie mit Länder verbindenden Projekten wie „Euroterra“ an die Öffentlichkeit. 2008 gründete die Künstlerin die Kunststiftung Sabine Hoffmann, die unter dem Dach der Stiftung Hospitalhof in Stuttgart u. a. alle drei Jahre den Kunstpreis Sabine Hoffmann verleiht.
Ursula Laquay-IHM ist 1932 in Karlsruhe geboren. Sie studierte von 1952 bis 1956 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, u. a. Innenarchitektur und Hochbau. Im Anschluss arbeitete Laquay-IHM als Möbeldesignerin, seit 1959 lebt sie als freischaffende Künstlerin in Stuttgart. Längere Arbeitsaufenthalte führten sie in die USA und nach Frankreich. Zunächst arbeitete die Künstlerin als Zeichnerin und Malerin zweidimensional, seit den 1980er Jahren entstehen zunehmend auch dreidimensionale Objekte und Installationen. Ursula Laquay-IHMs Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Die Künstlerin ist erste Trägerin des Kunstpreises Sabine Hoffmann. Dieser würdigt, dass sich Ursula Laquay-IHM seit vielen Jahren mit der „conditio humana“ auseinandersetzt, also die Bedingung des Menschseins bzw. die Grundzüge der menschlichen Existenz reflektiert.
So unterschiedlich die Werke der Künstlerinnen auf den ersten Blick auch sein mögen – z. B. stehen sich hier formal die im Duktus locker und spontan wirkenden Grafiken Sabine Hoffmanns und die äußerst präzise, teils mit Lineal und Zirkel, ausgeführten Zeichnungen Ursula Laquay-IHMs gegenüber – die Befragung der „conditio humana“, der Natur des Menschen, seiner Lebensbedingungen und -räume sind verbindende Themen ihrer künstlerischen Arbeit. Wir haben es mit zwei gesellschaftspolitisch aufmerksamen und engagierten Zeitgenossinnen zu tun und man kann sich gut vorstellen, dass diese beiden, auch persönlich sehr beeindruckenden Frauen in gemeinsamen Gesprächen über Kunst und Gesellschaft Inspiration finden.
Innerhalb des genannten Grundinteresses unterscheiden sich die Leitmotive im Schaffen der Künstlerinnen entsprechend der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen und biografischen Prägungen. In Sabine Hoffmanns Werken findet sich immer wieder die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper und Geist – seiner Verletzlichkeit, aber auch seiner Stärke –, mit dem Tod und auch dem Überdauern der menschlichen Existenz. Häufig klingt dabei insbesondere die geistige und psychische Kraft des Menschen an, hier z. B. von Dichtern oder von Frauen der Französischen Revolution, die die Künstlerin durch ihre Arbeit gegenwärtig hält. Für dieses künstlerische Interesse bilden Sabine Hoffmanns frühe Erfahrungen der menschenverachtenden und -vernichtenden Umtriebe der Nationalsozialisten eine wesentliche Basis.
Ursula Laquay-IHM widmet sich dagegen vornehmlich der Befragung architektonischer Räume, insbesondere von dicht besiedelten Städten. Ihre Stadt-Zeichnungen visualisieren sowohl die faszinierende Vitalität als auch die verstörende Brutalität des Kosmos „Stadt“ und werfen die Frage nach den Bedingungen der menschlichen Existenz in diesen Lebensräumen auf. Auch ihren Werken liegen biografische Prägungen – u. a. ihr Architekturstudium – zugrunde; die Künstlerin selbst beschreibt die Geburt ihres Sohnes als aufrüttelndes Ereignis, das ihre Aufmerksamkeit für die Verletzlichkeit unseres Lebensraumes schärfte und ihre künstlerische Auseinandersetzung mit der aktuellen und zukünftigen Entwicklung der menschlichen Umwelt beförderte.
Als Leiterin einer Institution, die sich den grafischen Künsten verschrieben hat, möchte ich kurz auch auf die große Vielfalt der verwendeten Techniken in dieser Ausstellung hinweisen. Sie sehen teils großformatige Zeichnungen, wobei unterschiedlichste Zeichenmittel wie Bleistift, Aquarell, Graphit, Tusche usw. Verwendung finden. Viele Werke sind Collagen, die außer der Zeichnung „Fundstücke“ aus unterschiedlichen Kontexten verarbeiten. Ferner sind Farblithografien zu sehen. Die Arbeiten sind geprägt von einer virtuosen Nutzung der künstlerischen Mittel und von einer großen Experimentierfreude, verschiedenste Techniken und Materialien miteinander zu verbinden.
Die gezeigten Werke sind für mich „Wahrnehmungs- und Lebensschule“ – ihre optische Fülle, grafische Feinheit sowie ihre visuelle und vor allem auch inhaltliche Vielschichtigkeit widersetzen sich der hastigen Rezeption und eindimensionalen Lesarten. Sie fordern vom Betrachter intensives Sehen, Entdeckerfreude und Offenheit für Mehrdeutiges. Die Arbeiten von Ursula Laquay-IHM und Sabine Hoffmann enthalten über Bild und teilweise auch Text vielfache Verweise, die eine intensive geistige Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen anregen. Sie bieten so Ausgangspunkte für weite Assoziationsräume, die durch die individuelle geistige Aktivität des Betrachters – seine Verbindung der verschiedenen Motive mit den eigenen Erfahrungen, mit seiner Bildung und seinen Stimmungen – geschaffen werden und so immer wieder von neuem entstehen. Auch wenn nicht jeder Betrachter jeden Hinweis deuten wird, so sprechen die Arbeiten in jedem Fall ganz unmittelbar an und regen zur Reflexion unseres Menschseins an.
Abschließend möchte ich meiner Kollegin Nina Pfeiffer, die diese Ausstellung mit viel Engagement vorbereitet hat, sehr sehr herzlich danken. Ferner gilt mein Dank Jürgen Griesheimer und Stefan Heuer, die die Ausstellung technisch realisiert haben, Doris Orgonas, die sich um organisatorische Fragen kümmert, sowie Zara Reckermann, die auch dieses Projekt während meiner Elternzeit maßgeblich betreut hat.
Besonders würdigen möchte ich heute auch, dass es dem Engagement meines Vorgängers Dr. Helmut Herbst für die zeitgenössische Kunst und insbesondere für die grafischen Künste zu verdanken ist, dass sich Sabine Hoffmann und Ursula Laquay-IHM entschlossen haben, der Stadt Waiblingen ihre Arbeiten auszuleihen. Helmut Herbst hat sich im Vorfeld der Eröffnung der Galerie Stihl Waiblingen verstärkt dafür eingesetzt, auch für die städtische Sammlung qualitätvolle grafische Werke zu gewinnen. Die Ausstellung erinnert somit auch an den Einsatz unseres im Juni verstorbenen Kollegen.
Sabine Hoffmann und Ursula Laquay-IHM ermöglichen uns mit dieser Ausstellung intensive Begegnungen mit zwei anregenden Positionen der zeitgenössischen Kunst – ich wünsche Ihnen allen viel Freude beim Erkunden der spannenden Grafiken und freue mich auf den anschließenden Austausch, gerne auch bei einem Glas Sekt oder Orangensaft.